Ein feministischer Methodenkoffer für online Veranstaltungen

Zoom Meeting

2020 war ein sonderbares Jahr. Leben und Arbeit sehen für viele anders aus als vor einem Jahr. Und auf eine erste Welle abgesagter Veranstaltungen folgte ein Boom an online Meetings, Seminaren, Konferenzen und ähnlichem. 

Offline Formate als online Veranstaltung umzusetzen bedeutet oft ungeplanten Mehraufwand. Da liegt es nahe, einfach via Videokonferenz dasselbe zu tun, was offline vorgesehen war. Das ist aber mehr als eine verpasste Chance. Denn auch vor der Pandemie waren unsere Veranstaltungen leider längst nicht immer die einladenden und inklusiven Räume, die wir uns wünschen würden. Und der fehlende persönliche Kontakt verstärkt unsere blinden Flecken weiter. 

Ich möchte mich hier gar nicht darüber auslassen, wie problematisch Zoom denn nun wirklich ist, oder welche Alternativen vielleicht angebrachter wären. Einerseits ist die Wahl der Plattform oft durch Arbeitgeber*innen oder Kund*innen vorgegeben. Und andererseits bietet jede Plattform Möglichkeiten, Veranstaltungen inklusiver zu gestalten, während keine automatisch dazu führt. Vielmehr geht es darum, wie wir feministische Werte am besten in unseren online Arbeitsräumen leben können. 

Einige Impulse, mit Anspruch auf Unvollständigkeit.



Sparsamer Tech Einsatz

Was die Technik betrifft ist weniger klar mehr. Damit Teilnehmende unabhängig von Bildschirmgröße, Equipment, Bandbreite und Arbeitsplatz sich bestmöglich einbringen können, sollten einfache zu bedienende und möglichst wenige Anwendungen zum Einsatz kommen. 

Aufmerksamkeit, Fertigkeit und Leitung können schnell an ihre Grenzen stoßen, wenn wir neben der Videokonferenz zwischen Applikationen, online Tools, Browser Tabs oder externen Kanälen wie WhatsApp oder Slack hin und her wechseln während wir womöglich auch noch den Twitter Hashtag im Auge behalten. Meistens reicht eine Kommunikationsplattform, und falls gemeinsam gearbeitet werden soll, ein kollaboratives Dokument (wie z.B. Google doc oder ein Pad) völlig um die Ziele einer Veranstaltung zu verfolgen. 

Funktionalität erklären

Zur Einleitung gehört nicht nur Inhaltliches, sondern auch das Erklären der genutzten Features. Das kann z.B. Hand heben, Reaktionen, Chat, Breakout Rooms, Mikrofon, Kamera, Ansicht etc. betreffen. An wen wendet mensch sich bei technischen Schwierigkeiten? Sollen im Chat primär Fragen gesammelt werden, Inhalte diskutiert, und/oder nützliche Links geteilt werden? Sind private Nachrichten an andere Teilnehmende möglich? Und so weiter. 

Auch Plattformen, die uns an sich geläufig sind, präsentieren sich je nach individueller Einstellung der Veranstaltung nicht immer gleich. Eine inklusive Veranstaltung berücksichtigt, dass nicht all gleich vertraut sind mit der gewählten Umgebung und setzt keine Vorkenntnisse voraus. 

Regeln der Zusammenarbeit gemeinsam klären

Unter Regeln der Zusammenarbeit können ganz praktische Überlegungen fallen. Etwa dass sich alle stumm schalten, wenn sich nicht sprechen, um Unterbrechungen zu minimieren. Oder dass Haustiere und Kinder vor der Kamera durchaus erwünscht sind. Aber auch Informationen zur Etiquette und Teilnahme an der Veranstaltung gehören dazu. Sind Teilnehmende ermutigt sich jederzeit einzubringen, oder sind dafür bestimmte Zeiten und Räume vorgesehen? 

Wie gehen wir mit Konflikten und schwierigen Themen um? Bei größeren Veranstaltungen gibt es vielleicht einen Code of Conduct der vorgestellt werden kann. Wo dies nicht der Fall ist, empfiehlt es sich, gemeinsam Grundregeln der Zusammenarbeit aufzustellen. Je nach Art der Veranstaltung und Teilnehmendenkreis kann hier respektvolle und diskriminierungsfreie Sprache vereinbart werden, wie Verständnisfragen geklärt und Einwände angebracht werden können, oder Zuhörregeln erarbeitet werden.  

Zum Einstieg

Als Übergang zwischen Intro und Inhalt fördert es Kollaboration und Gemeinschaftsgefühl wenn alle Teilnehmenden kurz zu Wort kommen. Das kann eine Vorstellungsrunde sein (wer bin ich, warum bin ich hier?), das kann ein kurzes Statement zu den Erwartungen an die Veranstaltung sein, oder eine kurze Reaktion auf einen Prompt. 

Ist die Runde dafür zu groß, kann eine gemeinsame Begrüßungsgeste oder Aktivität die Wortmeldungen ersetzen. Vielleicht winken alle in die Kamera, halten ihre Kaffeetasse hoch, oder zeigen einen beliebigen Gegenstand von ihrem Arbeitsplatz vor. Oder alle schalten kurz ihr Mikrofon ein und sagen gleichzeitig hallo.

Die Einstiegsrunde wirkt nicht nur als Eisbrecher, sondern schafft auch ein Gefühl der Präsenz im gemeinsamen digitalen Raum und senkt die Hemmschwelle zur aktiven Beteiligung. Sie trägt dazu bei, dass alle Stimmen gehört werden.

Textkommunikation ermöglichen

Das geht zum Beispiel über die Chat Funktion oder das Whiteboard der verwendeten Plattform. Das ermöglicht nicht nur das Sammeln von Fragen und Kommentaren, sondern erweitert den Diskussionsraum für unterschiedliche Beitragsstile, Fertigkeiten und Zeitlichkeiten. 

Via Videocall ist es nicht immer einfach, den richtigen Moment zu finden sich aktiv ins Gespräch einzubringen. Für viele Introvertierte und Neurodiverse Menschen ist dies auch offline eine große Herausforderung, und per Mikrofonübernahme in online Veranstaltungen noch schwieriger. 

Gemeinsame Gesten vereinbaren

Einige Gesten der Zustimmung wie Applaus oder Daumen hoch gibt’s zwar oft bereits plattformseitig. Persönlicher ist es, mit den Teilnehmenden Gesten zu vereinbaren die während der Veranstaltung vor laufender Kamera ausgeführt werden können, der Fantasie sind dabei kaum Grenzen gesetzt. Solche live Gesten bringen den Körper mit ins Meeting und signalisieren Gemeinsamkeit und Präsenz. 

Musik in den Zwischenräumen

Während Teilnehmende eintreffen oder sich nach Pausen wieder zusammenfinden, ist etwas Musik eine kreative und anregende Art zu warten. Praktischer Nebeneffekt: die akustische Aktivität signalisiert auch gleich, dass es bald weitergeht. 

Schön, wenn auch nicht immer praktikabel: Live Musik fließt mit in die Veranstaltung ein. Zum Beispiel als Teil der Einleitung, während der Pausen, und/oder in einer Session im Anschluss an den “offiziellen Teil”. 

Austausch ermöglichen

Bekanntschaften und Impulse für Zusammenarbeit entstehen oft auf Veranstaltungen. Was online oft etwas kurz kommt, sind die informellen Gelegenheiten sich zu treffen und auszutauschen – in den Pausen oder vor und nach dem inhaltlichen Teil. Sobald die Session seitens Host geschlossen wird, sind die Teilnehmenden voneinander abgeschnitten. 

Abhilfe können wir schaffen, indem wir die Session frühzeitig öffnen und explizit dazu ermutigen, den Raum und Chat bereits zu nutzen. Dasselbe gilt für Pausen oder am Ende der Veranstaltung. Wer möchte, kann bleiben und sich mit anderen Teilnehmenden unterhalten, Kontaktdaten austauschen, die Veranstaltung gemeinsam ausklingen lassen. 

Zusätzlich können während der Veranstaltung auch Räume für informellen Austausch vorgesehen werden – sei es im Plenum oder in kleineren Breakout Sessions. 

Kamera an oder aus?

In vielerlei Hinsicht gerne an. Sichtbar machen, eine Stimme geben, Raum einnehmen: alles feministische Argumente für die eingeschaltete Kamera. Per Video dabei zu sein fördert Gemeinschaftlichkeit, bringt Mensch und Körper etwas ganzheitlicher in den Raum, gibt Vortragenden nicht das Gefühl ins Leere zu sprechen, und trägt zu mehr Verbindlichkeit und Empathie bei. 

Allerdings soll kein Zwang herrschen, denn manchmal möchte mensch aus guten Gründen keinen Einblick in Arbeitsumgebung und Privatsphäre geben. Ein ruhiger und “präsentabler” Arbeitsplatz sind Privilegien. Vielleicht leben und arbeiten einige Teilnehmende in beengten Verhältnissen, die sie ungerne zeigen möchten. Vielleicht sind im Hintergrund andere Menschen zu sehen. Vielleicht reicht die Bandbreite für Video nicht aus. Vielleicht hatten wir keine Zeit oder Energie uns die Haare zu waschen und möchten nicht gesehen werden.  

Deshalb gilt trotz aller Vorteile von Videopräsenz: ermutigen ist ok, erzwingen nicht. Auch wiederholte Hinweise und Erinnerungen fühlen sich schnell ausgrenzend an.

Gemeinsame Mini-Meditation

Die vielleicht umsichtigste (wenn auch erstmal unerwartete) Praktik, die mir bisher begegnet ist, ist eine kurze Meditation vor geplanten Pausen. 

Gemeinsam tief durchatmen und reflektieren: Was brauchen unser Körper und unser Geist gerade? Die anschließende Pause bietet dann Gelegenheit die Bedürfnisse nach Wasser, Nahrung, Bewegung, frischer Luft, Toilette oder auch Kaffee zu erfüllen. Eine Minute reicht für die Meditation völlig aus. Das bringt etwas Achtsamkeit und Körperlichkeit in den Bildschirmalltag und ruft in Erinnerung, dass ganze Menschen an unseren Meetings und Seminaren teilnehmen, nicht nur Video Streams. 

Soll aufgezeichnet werden?

Im Idealfall sollte dies gemeinsam mit den Teilnehmenden zu Beginn der Veranstaltung diskutiert werden. Eine übliche Variante ist, auf die Aufzeichnung zu verzichten, wenn nicht alle damit einverstanden sind. Das kann einerseits als rücksichtsvoll gewertet werden, denn wer sich mit einer Aufzeichnung unwohl fühlt, wird sich weniger frei beteiligen. 

Andererseits gibt es aus Inklusionsperspektive auch gute Gründe für die Aufzeichnung von online Veranstaltungen, ganz besonders wenn Lerninhalte erarbeitet oder vermittelt werden. Neurodiverse Menschen können zum Beispiel darauf angewiesen sein, später nochmal auf Inhalte zurückzukommen. Längere Veranstaltung können auch mit Betreuungsarbeit und anderen Verpflichtungen überlappen. Da hilft eine Aufzeichnung verpasstes nachzuholen. 

Deshalb gibt es keine klare Empfehlung dafür oder dagegen, beides kann situativ die richtige Entscheidung sein. Wichtig ist, dass diese Diskussion geführt wird und, dass Teilnehmenden jederzeit klar ist ob und zu welchen Zwecken sie aufgezeichnet werden. 

Self- und Collective Care

Zu einer online Veranstaltung, die feministische Werte lebt, gehört mehr als Technik und gekonnte Moderation. Veranstalter*innen wie Teilnehmende gehen zurzeit mit einer Ausnahmesituation um und sind mit neuen Lebens- und Arbeitsweisen konfrontiert. Das hinterlässt Spuren. 

Trotz Zeitdruck und allfälliger techno-organisatorischer Herausforderungen darf deshalb Sorgsamkeit für uns selbst und andere Menschen in unseren online Räumen nicht zu kurz kommen. Dazu gibt es kein Einheitsrezept, sondern Kontext und Zweck der Veranstaltung wie auch das Zielpublikum sind ausschlaggebend für einen angemessenen Umgang mit den aktuellen Umständen. Wichtig ist, dass wir uns wie auch unsere Teilnehmenden aktiv fragen, was wir zur gegenseitigen Unterstützung beitragen können – organisatorisch wie auch zwischenmenschlich. Denn oft zeigt sich, die besten Praktiken sind die, die gemeinsam gestaltet wurden.